Die Ursachen: Die innerer Faktoren

Das Familiengeheimnis und die Isolation
Ein Kind ist sich der Tatsache bewußt, Mitglied ein
er Familie zu sein, in der ein wichtiges Ereignis stattgefunden hat, über das nicht gesprochen wird. Ein solches Ereignis ist eine Kriegserfahrung wie Internierung, Zeit in einem Flüchtlingslager, Flucht, Folter, Beschlagnahme von Besitz, Ausschluß durch Verwandte und Bekannte, usw.

Ein solches Kind steht vor einem Leben voll unbeantworteter Fragen, vor einem Leben voll Spannung und das heißt, einem Leben in doppelter Isolation: es ist sich der Tatsache bewußt, daß es zwischen den anderen Mitglieder seiner Familie ein Geheimnis gibt, das es selbst nicht mit ihnen teilen darf. Auf der anderen Seite weiß es, daß es sich um ein Geheimnis handelt, das vor der gesamten Außenwelt verborgen gehalten werden muß.

Loyalitätskonflikt gegenüber den Eltern, Verwirrungen
Das Kind durchläuft widersprüchliche Gefühle seinen Eltern gegenüber die sich selbst durch die Erfahrungen des Krieges verändert haben und mit gewaltigen Problemen kämpfen müssen. Kinder erleben diese Veränderungen mit, ohne ganz verstehen zu können, und fühlen sich stark ausgeschlossen.

Wenn es dann von anderen von den Taten der Nazis hört (äußerer Faktor), wird dieses Kind
verzweifelt wissen wollen, ob die eigenen Eltern davon gewußt haben oder nicht, ob sie soger daran beteiligt waren und ob sie in diesem Fall wirklich die schrecklichen Menschen sind, die jeder in ihnen sieht, usw.

Das Fehlen eines Gefühls von Sicherheit und Schutz
Bei Kriegsende konnten viele Kinder nicht in ihr Elternhaus zurückkehren; zahlreicher Besitz war von den Behörden beschlagnahmt worden. Wenn das Kind – nach einer gewissen Zeit – zurückkehren konnte, waren viele bekannte Dinge häufig micht mehr vorhanden (Spielzeug, das Bett..) Dies hatte für das Kind zur Folge, daß ihm (teilweise) die Sicherheit des Elternhauses und seiner persönlicher Gegenstände entzogen war.
In vielen unserer Gespräche erleben wir Gefühle völliger Orientierungslosigkeit, Gefühle,
abgeschnitten zu sein, keine Lebensgrundlage zu besitzen, einen schlechten Start ins Leben gehabt zu haben.

Schuldgefühle; als Stellvertreter?
Die emotionale Ambivalenz gegenüber den Eltern führt zur Entwicklung von Schuldgefühl. Das Kind bekommt den Eindruck, für die Disharmonie in der Familie verantwortlicht zu sein: es sollte vielleicht lieber oder gehorsamer sein. Unterdrückte Gefühle brechen von Zeit zu Zeit in aggressivem Verhalten hervor, das erneute Schuldgefühle erzeugt.

Es gibt weiterhin Schuldfgefühle anderen Opfern des Krieges gegenüber: das Kind fühlt in einer diffusen Weise, daß es indirekt (über die Eltern) etwas mit dem Leid und Elend seines Mitmenschen zu tun hat. Wenn ein Gefühl der Schuld angesichts von Kriegshandlungen durch die Eltern abgestritten oder heruntergespielt wird, dann gibt das dem Kind weitere Gründe, stellvertretend Schuld auf sich zu nehmen. Solch ein Schuldgefühl kann für
das Kind eine große Last sein: es sieht eine persönliche Verantwortung, insbesondere bei Ereignissen im Zusammenhang mit dem 4. Mai (Gedenktag des Krieges), im Geschichtsunterricht in der Schule, bei Büchern und Filmen über den Krieg, usw. Selbst wenn das Kind tief in seinem Inneren weiß, daß es unmöglich dafür verantwortlich
sein kann, ist das dennoch eine sehr starke emotionale Erfahrung.

Scham und das Bewußtsein von der Welt als unsicherem Ort
Dr.T.L.W. van Ravesteijn schreibt in einer Broschüre des Icodo: “…Dann wissen Sie was Auschwitz ist, nicht was es war. Sie schämen sich und fühlen die Düsternis der Welt. Ihre Freunde haben kein Gefühl der Scham. Für sie ist die Welt ein sicherer Ort, denn diese wissen nichts von Amersfoort, Vught, Westerbork, Bergen-Belsen, Ravensbrück, Auschwitz, den indonesischen Lagern und all den anderen Orten des Todes. Sie sind allein mit einem Geheimnis, das Sie nicht nur nicht verstehen können, sondern das sie auch niemals mit jedemandem teilen dürfen. Weder Beichte noch Buße bieten Erleichterung. Es ist bezeichnend für die 2.Generation, daß sie weiß, daß Konzentrationslager Werke des Menschen sind; daß der Mensch fähig ist, seine Mitmenschen, zwanghaft und unheilbar,
zu verletzen. Dieses Wissen erfüllt sie mit Scham und läßt ihnen die Welt zu einem düsteren Ort werden…”


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